Siegelkunde
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Im Siegelbild der Geschichte
<p>Miriam Weiss vom Lehrstuhl f&uuml;r die Geschichte des Mittelalters bringt Laien in Lernvideos bei, wie man mittelalterliche und neuzeitliche Siegel wissenschaftlich korrekt untersucht. Die Videos sind Teil eines Projekts zur Erforschung von Tausenden Siegeln, die wie durch ein Wunder in der th&uuml;ringischen Stadt Nordhausen wieder aufgetaucht sind.</p>
© Thorsten Mohr

Dr. Miriam Weiss erforscht mittelalterliche Siegel und erklärt in Videos, wie man diese entschlüsselt.

<p>Sieglein, Sieglein in dem Schrank&hellip; Wenn es ein M&auml;rchen w&auml;re, k&ouml;nnte die folgende Geschichte so beginnen. Aber man soll es ja nicht &uuml;bertreiben mit der Metaphorik, daher bleiben wir doch bei den Fakten. Und f&uuml;r die ist unter anderem Dr. Miriam Weiss zust&auml;ndig. Die Mittelalter-Historikerin der Universit&auml;t des Saarlandes arbeitet an einem Forschungsprojekt mit, das rein gar nichts mit dem Saarland zu tun hat. Weiss, die dar&uuml;ber hinaus auch als Museumsp&auml;dagogin arbeitet, bringt ein Forschungsprojekt zur so genannten &bdquo;Nordh&auml;user Siegelsammlung&ldquo; voran.</p> <p>&nbsp;</p> <p>Wobei die Geschichte dann erstmal wie im M&auml;rchen beginnt, zugegeben: Vor einiger Zeit, im Jahr 2017, plante man in der kleinen Stadt in Th&uuml;ringen eine M&ouml;belausstellung, f&uuml;r die auch eine historische Kommode aus den St&auml;dtischen Museen ins Auge gefasst wurde. Die stand jahrzehntelang unbeachtet in einer Ecke. &bdquo;In dieser Kommode hatte man dann die 7000 St&uuml;cke umfassende Siegelsammlung der Stadt Nordhausen wiedergefunden&ldquo;, sagt Miriam Weiss.</p> <p>&nbsp;</p> <p>Nach diesem m&auml;rchenhaften Fund folgte jedoch recht schnell die harte Landung in der Realit&auml;t. &bdquo;Das ist ein toller Fund, aber f&uuml;r eine kleine Stadt wie Nordhausen nat&uuml;rlich eine v&ouml;llige &Uuml;berforderung&ldquo;, ordnet Miriam Weiss den historischen Schatz ein. Denn viele Tausend Siegel zu katalogisieren, zu erschlie&szlig;en und dann f&uuml;r die Zukunft so zu archivieren, dass sie nicht weiter besch&auml;digt werden, ist eine Herkulesaufgabe, die ein kleines Archiv wie das der Stadt Nordhausen nicht alleine stemmen kann. Von einer Restauration der vielen zerbrochenen, verschimmelten oder zerbr&ouml;selten Siegel ganz zu schweigen.</p> <p>&nbsp;</p> <p>Also holte sich der Nordh&auml;user Archivar Hilfe von externen Fachleuten, unter anderem von der Universit&auml;t Mannheim. Und von Miriam Weiss, die als Museumsp&auml;dagogin gro&szlig;e Expertise darin hat, wissenschaftliches Spezialwissen an ein Laienpublikum zu vermitteln. Denn ein Baustein des Nordh&auml;user Siegelprojektes ist die sogenannte &bdquo;Citizen Science&ldquo;, also &bdquo;B&uuml;rgerwissenschaft&ldquo;. Dahinter steckt die Idee, dass Tausende Laien-Augen mehr sehen als zwei Experten-Augen. &bdquo;Aber nat&uuml;rlich m&uuml;ssen die Leute erst einmal wissen, wie sie ein Siegel lesen m&uuml;ssen, was sie darauf sehen, wof&uuml;r es gebraucht wurde&ldquo;, erl&auml;utert Miriam Weiss.</p> <p>&nbsp;</p> <p>
</p> <p>&nbsp;</p> <p>Die Wissenschaftlerin wei&szlig;, wie sie das lernen k&ouml;nnen. Also hat sie f&uuml;r das Projekt Lernvideos erstellt, in denen sie unter anderem erkl&auml;rt, was &uuml;berhaupt ein Siegel ist und wie man es wissenschaftlich korrekt beschreibt. Sie sieht darin die einzig gangbare M&ouml;glichkeit, die schiere Masse an Siegeln, von denen bisher nur ein Bruchteil aufgearbeitet wurde, jemals vollst&auml;ndig erschlie&szlig;en zu k&ouml;nnen.</p> <p>&nbsp;</p> <p>Dieses Ziel w&auml;re ein gro&szlig;er Gewinn f&uuml;r die lokale Geschichte der Stadt Nordhausen. Denn Siegel sind aus heutiger Perspektive sozusagen das &bdquo;Who is who&ldquo; der Vergangenheit. Nur privilegierte Zeitgenossen wie zum Beispiel Adelige, Kirchenf&uuml;rsten oder auch Handwerksz&uuml;nfte durften ein Siegel f&uuml;hren. Neben ihrer urspr&uuml;nglichen Funktion, etwas zu beglaubigen, dienten Siegel auch der Repr&auml;sentanz. &bdquo;Das Bild darauf haben viele Menschen gesehen. Was soll also darauf zu sehen sein?&ldquo;, fragt Miriam Weiss aus der Perspektive eines mittelalterlichen Zeitgenossen, der ein neues Siegelbild erschaffen m&ouml;chte. Dementsprechend gab es verschiedene Formen des Siegels, etwa ein Reitersiegel, welches das Bild eines Mannes auf einem Pferd zeigte. Dies wurde zum Beispiel oft von Herrschern, m&auml;chtigen und weniger m&auml;chtigen, verwendet. Stadtsiegel waren stolzes Zeugnis st&auml;dtischer (b&uuml;rgerlicher) Macht und Majest&auml;tssiegel bezeugten die Herrschaftlichkeit am oberen Ende der Adelshierarchie.</p> <p>&nbsp;</p> <p>Dass die umfangreiche Nordh&auml;user Siegelsammlung &uuml;berhaupt noch existent ist, verdanken die heutigen Historikerinnen und Historiker einem inzwischen ebenfalls historischen Ph&auml;nomen. &bdquo;Im 19. Jahrhundert gab es sehr viele Siegelsammler&ldquo;, erl&auml;utert Miriam Weiss. &Auml;hnlich wie heute Briefmarken, Comics oder alte Postkarten sammelten damals viele Leute eben historische Siegel. &bdquo;Die sind fast alle unerschlossen&ldquo;, wei&szlig; Miriam Weiss. Kein Wunder. Denn Leute, die die Siegel untersuchen k&ouml;nnten, gibt&rsquo;s schlie&szlig;lich nicht an jeder Ecke.</p> <p>&nbsp;</p> <p>Vielleicht lassen sich zumindest f&uuml;r die Nordh&auml;user Siegelsammlung im fernen Th&uuml;ringen gen&uuml;gend Leute auftreiben, auch wenn sie keine ausgewiesenen Siegel-Experten sind. Dank ihrer kundigen Einf&uuml;hrung durch Miriam Weiss und ihre Videos k&ouml;nnten viele freiwillige Helferinnen und Helfer der Schl&uuml;ssel daf&uuml;r sein, dass die Geschichte der Nordh&auml;user Siegelsammlung dereinst ein m&auml;rchenhaftes Ende nimmt, nach einem kleinen Ausflug in die harte wissenschaftliche Realit&auml;t.</p>
Text:Thorsten Mohr
Thorsten Mohr
18.11.2022
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